Freitag, 29. März 2013

Alles für die Katz'

Heute Nacht hatte ich einen sonderbaren Traum, befand ich mich doch, bibbernd vor Kälte, in der Antarktis, umgeben von Robben und Seeleoparden. Mag sein, dass die letzten Tage mit ihren Unmengen an Schnee, die sie in den Frühling schleuderten, dazu beigetragen haben,  meinem Unterbewusstsein die Vorstellung zu vermitteln, am Rande des Südpols gelandet zu sein.
Nun gut - der Wecker klingelte. Zwischen Schlummer und Wirklichkeit taumelte ich ans Fenster und erspähte tatsächlich auf dem ganz in Weiß gehüllten Gartenboden jenes plumpe, schwarze Geschöpf, das sich mühsam auf zwei Beinen voranschleppte.
"Ein Pinguin!" rief ich laut und stürmte aus der Haustür, um mich in meinem schlaftrunkenen Hirn zu vergewissern, ob ich mich daheim in Ilsede befand oder vielleicht eher eisigeren Gefilden einen Besuch abstattete. Eins stand fest: Das Wesen stolzierte auf mich zu. Misstrauisch beäugten wir uns gegenseitig.
Das ist kein Pinguin, und du befindest dich nicht in der Antarktis, funkten mir meine zwischenzeitlich durch Frost und Raureif hellwach gekitzelten Nerven zu.
Erleichtert wollte ich den, nur mit Schlafanzug und Morgenmantel bekleideten, Körper wieder wohliger Wärme ausetzen, trat also den Rückzug an.
Plötzlich fiel der vermeintliche Pinguin um. Einfach so. Mir nichts, dir nichts lag er im hohen Schnee und stieß ein klägliches: "Rab, rab", aus.
Gütiger Himmel, was tun?
Rasche Hilfe war angesagt. So kniete ich mich neben dem erschöpften Vogel nieder, im ihn aufzuheben und vor der blubbernden Heizung mit Futter zu versorgen.
"Das wird schon wieder, kleiner Freund", flüsterte ich ihm beruhigend zu und legte die Hände um seinen Leib. Er sah mich aus gebrochenen Pupillen an. Sein Köpfchen sackte zur Seite. Kein Zweifel! In diesem Augenblick begann seine Seele die Reise über den Regenbogen anzutreten.
Wie von selbst liefen mir Tränen übers Gesicht, und ich streichelte in Trance das ruppige, schwarze Gefieder.
"Woran bist du gestorben, armer Rabe", fragte ich das tote Tier. "Warst du zu alt für diesen nicht endenden Winter? Bist du verhungert oder hast du dich verletzt und von mir Hilfe erhofft? Hilfe, die ich dir nicht geben konnte?"
Tausende Gedanken jagten mir in den wenigen Sekunden durch den Kopf, bevor ich einen gellenden Schrei ausstieß, der meine gesamte Familie aufschreckte. Kurz darauf standen wir allesamt vor dem Vogel und rätselten, warum er ausgerechnet in unserem Garten sein Leben ausgehaucht hatte.
Schließlich holte mein Sohn einen Spaten und begann den gefrorenen Boden aufzubuddeln, während ich mit Tochter und Schwiegertochter nach einem passenden Behältnis für ein würdiges Begräbnis suchte. Ehegatte und Neffe steuerten eine Wolldecke und Zimmerlilien bei.
Mit den Grabutensilien schritten wir gemessenen Schrittes zu der Stelle, wo der Rabe noch vor wenigen Minuten gelegen hatte. Außer ein paar Federn war alles, was an ihn erinnerte, verschwunden.
Erstaunt und auf merkwürdige Weise beklommen, ließen wir unsere Blicke durch die Gegend schweifen.
"Da!", brüllte mein Neffe aufgeregt.
Richtig. Unterm Holunderbusch zankten sich drei Katzen des Nachbarn um die Gebeine, fauchten sich gegenseitig an. Jede wollte die größeren Fleischbrocken verputzen.
Bizarres Schauspiel!.
Schweigend starrten wir auf das Spektakel, bis schließlich lediglich eine im Schnee versickernde Blutlache vom Tod des Vogels kündete.
 Es war meine Tochter, die als Erste den bedeutsamen Satz aussprach: "Alles für die Katz'."

Jeder Karfreitag ist traurig und von einer gewissen Schwermut geprägt. Aber der heutige kam mir besonders tragisch vor. Und immer noch geht es mir durch den Sinn: Was nützt das ganze Wirken und Streben? - Am Ende ist doch alles für die Katz'.    

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