Samstag, 30. März 2013

Der Zeiträuber

Stickum, wie die Diebe schleichen, kommt auf leisen Sohlen der Zeiträuber ins Haus. Eine Stunde will er klauen, heute, in der Osternacht. Mit dem Mut der Verzweiflung baue ich mich vor der Standuhr im Wohnzimmer auf, halte schützend beide Hände vor die Zeiger.
"Scher dich fort, du Scheusal", fauche ich ihn an. "Ich möchte so gern länger schlafen. Morgen ist doch Feiertag."
"Was geht's mich an? Führe nur aus, was mir aufgetragen wurde. Und du wirst mich nicht daran hindern", brummt der wilde Geselle in seinen Bart.
"Aber das Festtagsessen muss pünktlich um zwölf Uhr auf dem Tisch stehen. Dabei ist es dann eigentlich erst elf, wenn man's recht bedenkt."
"Das ist nicht mein Problem."
 "Ich habe keine Lust, noch eine Stunde früher aufzustehen als es die Natur vorgibt", flehe ich. "Heißt nicht sogar ein Film 'High noon'? Das ist seit Menschengedenken der Zeitpunkt, wenn die Sonne am höchsten, also genau im Süden, steht.
 "Lebst du hinterm Mond?", lacht der raue Bursche, packt mich und zerrt mich mit Gewalt vom Zeitmesser weg. "Bereits seit 1980 bestimmt nicht mehr die Natur die Zeit, sondern die Regierung. Und jedes Jahr macht du das gleiche Theater, jammerst und klagst wegen einer einzigen Stunde, die ich gleich in meinen Sack stecken werde. Im November bekommst du sie ja wieder. Also, hör auf zu lamentieren."

"Was nützt sie mir im Winter? Da ist es sowieso den halben Tag dunkel. Jetzt, wenn die lauen Frühlingsabende ins Land ziehen, der Sommer bis in die Nacht Wärme spendet und Herbst milde Abendstunden schenkt, möchte ich gern länger draußen im Garten sitzen, den Feierabend genießen, grillen und mich des Lebens erfreuen", wende ich ein. "Früher haben die Menschen an Samstagen oft bis nach  Mitternacht die würzige Luft genossen."
"Papperlapapp", knurrt der Zeiträuber und wird immer böser. "Du kannst auch weiterhin jedes Jahr bis Mitternacht die Sterne bewundern."
"In Wirklichkeit ist es dann jedoch erst elf Uhr."
"Die Wirklichkeit hat nichts zu melden. Es zählt, was die Stunde geschlagen hat. Ho ho ho. Und die schlägt nun einmal die Uhr, die ich gleich vorstellen werde. Basta."
"Und während ich damals um halb vier aufstand, um den Sonnenaufgang zu bewundern, ist es seit dem vermaledeiten Jahr, als die Sommerzeit eingeführt wurde, bereits halb fünf.  Zeit, sich für den Dienstbeginn zu rüsten. Es bleibt kein Augenblick, den jungen Tag zu begrüßen."
"Er kommt ohne deine schwärmerische Begrüßung ebenso gut zurecht. Halt jetzt endlich den Schnabel. Wenn du nicht endlich Ruhe gibst, werde ich die Zeiger einfach drei Stunden vorstellen. Selbst schuld."

Nun bin ich es, die lauthals loslacht. "Da gehen die Bürger auf die Barrikaden. Das kannst du nicht mit erwachsenen, mündigen Menschen machen. Nie und nimmer!"
"Dummchen, du hast keine Ahnung, was ich alles machen kann, ohne dass mich die Leute daran hindern. Außerdem finden sich außer dir und einigen anderen ewig Gestrigen die Übrigen mit den aufdiktierten Zeiten nach ein paar Tagen des Murrens damit ab, dass sie monatelang täglich eine Stunde früher aufstehen und eine Stunde eher ins Bett gehen müssen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Er blickt auf die Uhr und macht sich keine Gedanken darüber, dass sie ihn anlügt", schnauzt der Unhold, schubst mich zur Seite und schreit: "Mach den Weg frei. Sonst gibt's Saures."

Als er mein verängstigtes Gesicht sieht, beruhigt er sich, schmunzelt sogar ein wenig und zwinkert mir im Hinausgehen zu. "That's life. Es gibt Schlimmeres:"
Da hat er allerdings recht und ich ergebe mich, wie jedes Jahr, kleinlaut ins Schicksal.     

1 Kommentar:

  1. Ja, ja! Mir fehlt auch jedes Jahr aufs Neue diese Stunde.
    Sehr schön geschrieben;-)

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